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Enke

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Auf ein­mal sind sie alle da: fast 40 000 trau­ern­de Fans in der Are­na von 96 und vie­le Tau­send vor den Flim­mer­kis­ten der Repu­blik, die Kol­le­gen aus der Natio­nal­mann­schaft, die hohen Her­ren des deut­schen Fuß­balls, die Fern­seh­fuz­zis und die Schrei­ber­lin­ge, nicht zu ver­ges­sen die vie­len Foto­gra­fen mit dem Fin­ger am Aus­lö­ser, Fuß­ball­be­geis­ter­te und Sensationshungrige.
Alle wol­len sehen, was pas­siert; mit­be­kom­men was es zu sehen gibt, den Schau­er sel­ber spü­ren, der wohl jedem ange­sichts die­ser Geschich­te über den Rücken läuft.
Ich bin wütend. Wütend und wütend.
War­um glotzt ihr jetzt? War­um zückt ihr jetzt eure Kame­ras und Notiz­blö­cke? War­um macht ihr jetzt betrof­fe­ne Gesich­ter und hüllt euch in Trau­er­flor? War­um sprecht ihr jetzt sal­bungs­vol­le Wor­te? War­um steht eure ver­damm­te Fuss­bal­welt jetzt erst still — wenn auch nur für einen Augenblick?
War­um habt ihr nicht schon vor­her hingeschaut?
Da war einer, der super-Spit­zen­sport­ler, der 1a-Tor­mann, der Spie­ler in der Natio­nal­mann­schaft, das Vor­bild vie­ler jun­ger Hob­by­ki­cker — der nach außen hin ein­wand­frei funk­tio­niert hat.
Und innen in ihm drin nichts als Dun­kel­heit? So dun­kel, dass es kei­nen Aus­weg als den in den Frei­tod gege­ben hat?
Kei­ner hat was bemerkt? Kei­ner woll­te was mer­ken? Ich glaub das ein­fach nicht…

Was wohl pas­siert wäre, wenn er den Mut gehabt hät­te, offen über sei­ne Krank­heit zu spre­chen? Das “Kind beim Namen zu nen­nen”? Es zu wagen, das Tabu zu bre­chen und zu sagen: “Ja, Leu­te — ich habe Depressionen.”?
Ich bin mir sehr sicher, dass die glei­che Gar­de von Jour­na­lis­ten, Fern­seh- und Zei­tungs­fuz­zis, die Fan­clubs und Nord­kur­ven­be­su­cher und sicher auch der ein oder ande­re toug­he Spie­ler der Natio­nal­elf dann mil­de aber ver­ständ­nis­los geläch­let hät­te. Dann die Blei­sti­fe gespitzt, um bis­si­ge Kom­men­ta­re auf die Titel­sei­ten der Zei­tun­gen zu brin­gen. Die Kame­ras kli­cken lie­ße, um das bes­te und intims­te Foto des Por­ta­go­nis­ten Gewinn brin­gend an die Regen­bo­gen­pres­se zu verscherbeln.
Ich bin mir sicher, dass vie­le, vie­le sich den Mund zer­ris­sen hät­ten über den Schwäch­ling mit den Depris, bin mir sicher, dass sich nur weni­ge die Mühe gemacht hät­ten zu ver­ste­hen, was wirk­lich abgeht. Und ich bin mir sicher, dass der glä­zen­de und makel­lo­se Spit­zen­fuß­bal­ler fort­an für den Rest sei­ner Kar­rie­re gebrand­markt gewe­sen wäre — mit dem Stem­pel “depres­siv” (…was ja all­ge­mein gleich­zu­set­zen ist mit: ziem­lich durch­ge­knallt und nicht zu gebrauchen).

Also hat er es anders gemacht. Sei­ne Krank­heit, sein Leid geheim gehal­ten vor der Öffent­lich­keit und wahr­schein­lich auch vor vie­len ande­ren Men­schen, die ihm näher stan­den als der gemei­ne 96er-Fan oder Samstagabendbundesligaglotzer.
Wel­che Mas­ke­ra­de muss da gespielt wor­den sein, welch per­fek­tes Ver­steck­piel, was für eine groß­ar­ti­ge Tar­nung — gute Mie­ne zum bösen Spiel?
Nein, das Spiel heißt nicht Fuß­ball. Dies­mal nicht.

Es heißt Depres­si­on. Und dar­um spricht man nicht dar­über. Dar­um lässt man sich nichts anmer­ken. Dar­um bringt man den letz­ten Rest Ener­gie auf, um eine per­fek­te Tar­nung auf­recht zu erhal­ten, um wei­ter zu funk­tio­nie­ren, wie es ger­ne gese­hen wird.
Damit nie­mand etwas merkt. Damit man nicht abge­stem­pelt wird zum Ver­sa­ger, zum Weich­ei, zum Spin­ner, zum Psycho.
Du kannst alles haben heut­zu­ta­ge — aber bit­te kei­ne Depres­sio­nen. Das geht gar nicht.
Wir erwar­ten ein lachen­des Gesicht. Wir wol­len kei­ne schlech­te Stim­mung. Wir wol­len die har­ten Ker­le, die toug­hen Sports­män­ner, die “All­zeit-Berei­ten”, die Gewinner.
Ver­dammt noch­mal — was ist das für eine Welt, in der man offen­sicht­lich nur mit Mas­ke exis­tie­ren darf?
Mich scho­ckiert das — bei einem Sport­ler wie Robert Enke umso mehr, als dass er im Ram­pen­licht stand und offen­sicht­lich nie­mand bemerkt hat, wie es wirk­lich in ihm aus­ge­se­hen hat.
Per­fekt getarnt. Rol­le gut gespielt. Rea­lis­ti­sche Mas­ke­ra­de. Immer wei­ter weg von sich selbst und sei­ner Krankheit.

Und nach­her so weit weg, dass es kei­nen Weg mehr zurück gab? Nur den, der auf die Bahn­glei­se führte?

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